Schönreden und fragwürdige Versprechungen – Von der Leyens Rede zur Lage der Union

Die noch amtierende Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen nutzte ihre alljährliche Rede zur Lage der Union für ihre Bewerbung für die neue Legislaturperiode. Offensichtlich will sie nach der Europawahl im kommenden Jahr weitermachen – und zwar genauso wie bisher. Voraussetzung dafür ist, dass der Europäische Rat sie wieder vorschlägt. Um dies zu erreichen, fährt sie eine Doppelstrategie: Schönreden ihrer Amtszeit und der aktuellen Lage sowie möglichst unverbindliche Versprechungen an alle Seiten, denn schließlich braucht sie die Unterstützung konservativer, liberaler und sozialdemokratischer Regierungschef*innen.

Geopolitische Ambitionen ohne klare Antworten

Ihre Rede begann mit dem Schönreden der aktuellen Situation. So reklamiert sie als Erfolg für ihre Amtszeit, dass wir inzwischen eine geopolitische Union wären. Was sie unter einer geopolitischen Union genau versteht, konkretisiert sie nicht. Sicher ist aber, dass die EU bisher keineswegs Antworten auf die geopolitischen Umbrüche der letzten Jahre und die damit neun entstandenen Konflikte und Problemstellungen gefunden hat. Die Geschlossenheit der EU zum Ukraine Krieg ist begrenzt. Zudem ordnen sich die europäischen Staaten der Linie der USA unter. Das Verhältnis zu China ist keineswegs geklärt und kommt über schöne Worte kaum hinaus. Handelsabkommen mit den Ländern des globalen Südens hängen in der Luft, weil diese ihre Interessen nicht gewahrt sehen. Die Sahel-Politik der Union kann nach Militärputschen in drei der fünf Länder durchaus als gescheitert gelten. Schon diese Schlagworte zeigen, dass es mit der geopolitischen Lage der EU nicht ganz so gut bestellt ist.

Zudem lobt sie, dass die EU mit dem Green Deal weit vorangekommen sei. Verschwiegen wird, dass wir als EU immer noch nicht auf einem Pfad zur Reduzierung von C02 sind, der notwendig wäre, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Die Versuche ihrer eigenen Parteienfamilie, inzwischen sämtliche Umwelt- und Klimaschutzgesetzgebung notfalls auch mit Hilfe einer aktiven Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen zu blockieren, sind ihr nur einen sehr knappen, andeutenden Kommentar wert.

NextGenerationEU und die Wirtschaftskrise: Versäumnisse und Unklarheiten

Und auch bei ihrem Loblied auf den Investitionsfonds NextGenerationEU, der richtigen Antwort auf den wirtschaftlichen Einbruch im Zuge der Corona-Pandemie, vergisst sie zu erwähnen, dass die von ihr geführte EU-Kommission sich 2020 nicht getraut hat, Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise vorzuschlagen. Erst nachdem Frankreich und Deutschland einen derartigen Fonds vorgeschlagen haben, machte die Kommission einen ähnlichen, aber schwächeren Vorschlag. Und die Refinanzierung des Fonds ist immer noch ungeklärt. Ebenso wenig liegt ein praktikabler Vorschlag vor, wie ausreichende öffentliche Investitionen auch nach 2026 gesichert werden können.

Das Schönreden nach dem Pippi Langstrumpf-Prinzip „Ich mir die Welt, wie sie mir gefällt“ hält von der Leyen nicht davon ab, wenig durchdachte und/oder sehr nebulöse Versprechungen für die Zukunft zu machen.

So wird versprochen, gegen wettbewerbsverzerrende chinesische Subventionen bei Elektroautos vorzugehen, um die europäische Autowirtschaft zu schützen. Mal abgesehen davon, dass die chinesische Konkurrenz auf dem heimischen Markt bisher kein besonderes Problem darstellt, werden die Gefahren eines Handelskrieges mit China überhaupt nicht thematisiert. Und diese sind durchaus real. Angesichts der Abhängigkeit der Europäer bei der Batterieproduktion von chinesischen Rohstoffen oder der Tatsache, dass die europäischen Autobauer extrem abhängig von Absatzmöglichkeiten ihrer E-Autos in China sind, sind die Chancen, einen Handelskrieg mit China zu gewinnen, eher klein. Aber das ficht Ursula von der Leyen nicht an, denn das Versprechen ist ein Bonbon für Frankreich, dessen Automobilindustrie fürchtet, zukünftig im Wettbewerb mit China zurückfallen zu können. Und Frankreich muss als Unterstützer für ihre Wiederwahl gewonnen werden.

Und dann braucht sie noch die Sozialdemokrat*innen in verschieden Ländern. Für die hat sie das Versprechen eines Gipfels mit den Sozialpartnern im Angebot. Was dort konkret beredet und auf den Weg gebracht werden soll, lässt sie völlig offen.

Gleichzeitig bemüht sie sich, auch rechtsextreme Regierungen zu umgarnen. Ihre Migrationspolitik war offensichtlich ein doller Erfolg ebenso das Abkommen mit Tunesien. Die aktuelle Diskussion zeigt aber eher, dass das nicht der Fall ist. Eine Neuaufstellung der Migrationspolitik bedarf mehr als einzelne Maßnahmen zur Begrenzung von Flüchtlingszahlen. Notwendig wäre endlich umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung von Fluchtursachen und umfassende Anstrengungen zur Ermöglichung legaler Migration. Aber was soll‘s, denn sie braucht auch Italien als Unterstützung für ihre zweite Amtszeit. Und dazu muss man dann auch öfters in Funk und Fernsehen mit der italienischen Ministerpräsidentin auftauchen.

Herausforderung einer EU-Erweiterung und institutionelle Probleme

Abenteuerlich wurden dann ihre Redepassagen zur Erweiterung der EU. Mal abgesehen davon, dass ernsthafte Erweiterungsverhandlungen mit der Ukraine eine Beendigung des Krieges voraussetzen. Sie übergeht vollständig das Problem, dass die EU angesichts der Vielzahl der Mitgliedstaaten und dem häufig notwendigen Erfordernis einstimmiger Entscheidungen, schon heute in vielen kritischen Fragen faktisch handlungsunfähig ist. Sie erwähnt zwar, dass dazu eigentlich eine Änderung der EU-Verträge notwendig wäre, um die institutionellen Voraussetzungen für eine Erweiterung EU-seitig zu schaffen. Aber da sie selbst sieht, dass dies wahrscheinlich in diesem Jahrzehnt nicht mehr zu erreichen ist, erklärt sie schlicht, dass dieser Umstand einer Erweiterung dennoch nicht entgegensteht.

Unterm Strich war die Rede geprägt von Schönreden und fragwürdigen Versprechen. Ich kann nur hoffen, dass diese Frau nicht noch einmal Kommissionspräsidentin wird. Die EU braucht in der kommenden Legislatur aufbauend auf einer ungeschönten Realitätsanalyse umsetzbare Vision für eine gestärkte EU entwickelt und diese mit konkrete Umsetzungsschritten verfolgt. Die bisherigen Erfahrungen mit von der Leyen haben gezeigt, dass sie dafür nicht die richtige Person ist.

Bild:  Mathieu CUGNOT © European Union 2023 – Source : EP