Merkels Antwort auf Macron bedeutet Stillstand

Am vergangenen Sonntag hat Merkel geliefert. Eine späte Antwort auf Macrons Vorschläge zur Weiterentwicklung der EU – und dazu noch eine unzureichende! Auf den ersten Blick bekennt sich die Kanzlerin im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum fortschrittlichen Europakapitel im Koalitionsvertrag. Dies ist eigentlich positiv. Denn kaum war die Tinte des Koalitionsvertrages trocken, erklärten Stimmen aus der Union, dass sie nicht gewillt sind, irgendetwas an der Europapolitik, wie sie zuvor vor allem vom früheren Finanzminister Schäuble entwickelt wurde, zu ändern.

Finanzmittel reichen nicht aus – Politikwechsel unerwünscht

Aber schon ein zweiter Blick auf Merkels Vorschläge zeigt, dass ihre europapolitischen Ambitionen deutlich hinter denen des französischen Präsidenten zurückbleiben. Angeblich steht für sie eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik sowie eine gemeinsame Asylpolitik im Vordergrund. Die Realität ist: Die finanziellen Mittel für eine ambitioniertere Außenpolitik der EU reichen hinten und vorne nicht.

Forderungen aus Deutschland hier erheblich nachzubessern sind bisher nicht bekannt geworden. Und in Punkto Asylpolitik gelingt es der Kanzlerin noch nicht einmal, dass ihr zuständiger Heimatminister Seehofer an den Beratungen der EU-MinisterInnen teilnimmt. Die diesbezügliche Vorbereitung dieses schwierigen Schwerpunktes des EU-Gipfels Ende Juni übernehmen damit Beamte, nicht gewählte Politiker.

Währungsfonds und Investitionshaushalt – zu kurz gesprungen

Und auch die Vorschläge zur Festigung des Euros sind alles andere als ein großer Wurf. Der Europäische Stabilisierungsmechanismus ESM soll nach Merkel zum Europäischen Währungsfonds umgewandelt werden. Doch dieser Währungsfonds  soll, wie es auch der  der IWF tut, notleidenden Eurostaaten strenge Einsparprogramme vorschreiben und unter nationaler statt europäischer Kontrolle stehen.

Ähnlich sieht es beim „Investitionshaushalt“ aus, der eine schnelle wirtschaftliche Konvergenz zwischen den Euroländern herstellen soll. Dessen finanzielle Ausstattung soll im unteren zweistelligen Milliardenbereich liegen. Ob dieser innerhalb oder außerhalb des EU-Haushalts stehen wird, bleibt noch abzuwarten. Der Beitrag zum EU-Gesamthaushalt soll trotz des Wegfalls des britischen Beitrags und steigender Ausgaben für Infrastrukturmaßnahmen, Forschung und Entwicklung oder für die Flüchtlingspolitik auf 1,11 Prozent des nationalen Bruttoinlandsproduktes begrenzt bleiben.

Dies ist nicht mehr, sondern weniger Europa

Das ist das Gegenteil von dem, was Macron vorgeschlagen hat. Macron wollte eine neue europäische Souveränität. Merkel will die deutsche Dominanz in der Wirtschaftspolitik sichern. Die neuen Gelder bleiben in der Dimension weit hinter den Anforderungen zur Stärkung und Modernisierung der europäischen Wirtschaft zurück. Macron hatte Mittel in der Größenordnung von 200 Milliarden jährlich für ein Eurozonenbudget genannt.

Mehr europäische Souveränität gegen soziale Spaltung

Insgesamt wird der Merkel-Vorschlag den inneren und äußeren Anforderungen an die Weiterentwicklung der EU nicht gerecht. Angesichts des zunehmenden Nationalismus – die Regierungsbildung in Italien ist hier nur ein weiterer Höhepunkt – bedarf es viel ambitionierterer Visionen für Europa. Der Kern der Vision muss auf einer Verringerung der in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die EU Politik vertieften sozialen Spaltung in und zwischen den Mitgliedstaaten abzielen. Ohne eine deutliche Reduzierung dieser Ungleichheit wird es nicht gelingen, die auseinanderstrebenden Kräfte in der EU im Zaum zu halten. Gerade angesichts der sich vollziehenden weltwirtschaftlichen Umbrüche – Stichwort Trump – ist aber eine möglichst geschlossene EU ein entscheidender Faktor zur wirtschaftlichen Selbstbehauptung.

 Ungleichheiten bekämpfen durch mehr Steuergerechtigkeit

Was wir brauchen, sind deutlich mehr Mittel für nachhaltige Investitionen. Natürlich muss die Vergabe der Gelder an Auflagen gebunden werden, aber eben nicht an neoliberale Strukturreformen. Die Finanzierung dieses zusätzlichen Budgets sollte aus Steuern erfolgen, die ohne europäisches Handeln nicht eingenommen werden können. Man kann zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Steuergerechtigkeit herstellen und genügend Ressourcen erzielen, indem endlich internationale Konzerne und die Internet-Unternehmen so besteuert werden, wie kleine und mittelständische Unternehmen. Und die Gelder müssen europäisch verantwortet und kontrolliert werden. Wer Europa weiterentwickeln will, darf nicht die Möglichkeit eröffnen, dass einzelne Mitgliedstaaten Vetorechte erhalten. Eine deutsche Dominanz in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ist für viele Mitgliedstaaten keine akzeptable Perspektive. Wir brauchen mehr europäische Souveränität.