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Ukraine-Politik neu denken

Gastbeitrag Frankfurter Rundschau

Ökonomisch haben EU und IWF versagt. Die geforderten neoliberalen Strukturreformen wirken verheerend.

Wenn man Ukraine sagt, denkt man zuerst an den Krieg im Osten des Landes, an die Annektion der Krim und – am Tag des konsultativen Referendums in den Niederlanden – auch an das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union (EU). Das Land hat aber mit vielfältigen weiteren Herausforderungen zu kämpfen. Die Ukraine befindet sich zwei Jahre nach dem „Euromaidan“ in der tiefsten Krise seit seiner Unabhängigkeit von der ehemaligen Sowjetunion.

Mit dem Euromaidan war die Hoffnung verbunden, mittels einer stärkeren Zusammenarbeit mit der EU die allgegenwärtige Korruption und Macht der Oligarchen zu beenden, eine Modernisierung der Wirtschaft voranzutreiben und die Wirtschaftsentwicklung zu stimulieren. Das Assoziierungsabkommen inklusive einer vertieften und umfassenden Freihandelszone sollte diese Politik als „EU-Mitgliedschaft light“ flankieren. Anschließende Finanzhilfen des IWF und der EU sollten den Staatsbankrott abwenden. Die Bedingungen dafür waren die energische Bekämpfung der Korruption, Transparenz und Unabhängigkeit der Justiz, Reformen im Steuerwesen, Privatisierung der Staatsbetriebe, Energiepreisreform, Dezentralisierung und Haushaltskonsolidierung.

Soweit die Theorie. Die Realität ist eine andere: Ökonomisch hat die EU- und IWF-Politik versagt. Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der geforderten neoliberalen Strukturreformen sind verheerend. Die falschen Rezepte, die auch schon in anderen Teilen der Welt versagt haben, führten auch in der Ukraine in eine tiefe Rezession. Die Wirtschaft liegt brach, die Schulden erdrücken weiter den Staatshaushalt, ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze und der Anteil der Schattenwirtschaft am Bruttoinlandprodukt (BIP) beträgt Schätzungen zur Folge zwischen 40 und 60 Prozent. Die ökonomische Verflechtung mit Russland ist zerrissen, der Handel drastisch reduziert. Die ausländischen Direktinvestitionen sind mehr als halbiert verglichen mit 2011.

Nicht zuletzt deshalb geraten die unabdingbaren rechtsstaatlichen Reformen ins Stocken. Bis heute sind Anklagen wegen Korruption extrem selten. Die Justizreform kommt nicht voran. Die Dezentralisierung mit einer Stärkung der Regionen hat keine Chance auf Verabschiedung in der Verkhovna Rada, dem Ukrainischen Parlament. Es wird weiterhin von Oligarchen-Parteien dominiert. Notwendige Reformen werden erfolgreich blockiert, soweit sie die Privilegien der Oligarchen beschneiden würden. Das politische System befindet sich in einer Krise. Die Frage einer neuen Koalition, neuer Regierung oder Neuwahlen ist seit dem Misstrauensvotum gegen Ministerpräsidenten Jazenjuk ungelöst.

Die außenpolitische Lage ist ebenfalls besorgniserregend. Bei aller guten Absicht die Ukraine zu stabilisieren, wurde völlig ignoriert, dass durch die Assoziierung von gleich mehreren ehemaligen Sowjetrepubliken und Mitgliedern der Freihandelszone der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) eine neue geopolitische Situation in der Region entstehen würde, die Konflikte mit Russland wahrscheinlich macht. Das rechtfertigt nicht das völkerrechtswidrige Verhalten Russlands. Aber es beschreibt ein zu lösendes politisches Problem.

Ein „Weiter so“ in der Ukraine-Politik der EU verbietet sich vor dem Hintergrund dieser Bilanz. Sicher, schnelle Lösungen wird es nicht geben. Und es gilt: Reformwille muss aus der Ukraine selbst kommen. Innenpolitische Strukturreformen können nicht von außen implementiert werden. Die Assoziierung sollte als Chance für einen politischen und wirtschaftlichen Neuanfang, nicht als Heilsbringer eines maroden Systems begriffen werden.

Dennoch kann und muss die EU durch eine überfällige Korrektur ihrer bisherigen Politik zum Erfolg beisteuern. Ein Ende des Krieges und die Einhaltung der Minsker Abkommen muss die Toppriorität bleiben. Allen Beteiligten muss klar sein: Sicherheit und Frieden lässt sich in der Region nicht gegen, sondern nur gemeinsam mit Russland organisieren.

Wirtschafts- und sozialpolitisch ist mehr als Korruptionsbekämpfung, neoliberale Strukturreformen, Haushaltskürzungen und Freihandel nötig. Schlüssig finanzierbare Projekte zur Wirtschaftsankurbelung verbunden mit Infrastrukturausbau sind erforderlich. Von den wirtschaftlichen Reformen muss die gesamte Gesellschaft profitieren, nicht nur Oligarchen. Dabei muss die Kommission auf die Etablierung eines sozialen Dialogs und auf sozialpolitische Reformen zur Abfederung sozialer Härten drängen. Eine funktionierende soziale Marktwirtschaft braucht ausreichende Kaufkraft und sozialen Frieden.

Desgleichen gilt für die Förderung von Zivilgesellschaft und Demokratie mit ideologisch orientierten politischen Parteien jenseits der Oligarchen. Notwendig sind Parteien, die mit Wahlprogrammen antreten und abgewählt werden können, wenn sie diese nicht umsetzen, Abgeordnete die sich vor ihren Wählern rechtfertigen müssen, eine Zivilgesellschaft die bei der Gesetzgebung konsultiert wird und als Korrektiv fungiert. Nur so wird das Vertrauen in die Politik wiederhergestellt.

Schließlich muss die EU Steuerschlupflöcher und Briefkastenfirmen der Oligarchen und Polit-Eliten auf Zypern und anderswo aktiv bekämpfen, um den permanenten Kapitalabfluss ins Ausland zu stoppen, mehr Steuergerechtigkeit herzustellen und weitere Bereicherung der Oligarchen zu begrenzen.

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