Hintergrund: Am 26. April veröffentlichte die Kommission die langerwarteten Pläne zur Europäischen Säule Sozialer Rechte. Die Säule selber besteht aus 20 Grundsätzen, die auf Rechten aus dem bestehenden sozialen Besitzstand der EU aufbaut und neue hinzufügt, ohne jedoch die rechtliche Kompetenz der EU auszuweiten. Um den aktuellen Herausforderungen im Bereich des sozialen, technologischen und wirtschaftlichem Wandels zu begegnen, definiert die Kommission Schwerpunkte in den Bereichen Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, faire Arbeitsbedingungen und Sozialschutz und Inklusion.
Das Dokument soll als Orientierung für alle weiteren Initiativen im sozialen Bereich auf EU-Ebene und in den Mitgliedsstaaten dienen. Die Grundsätze sind nicht unmittelbar durchsetzbar, sondern müssen in entsprechende Maßnahmen und/oder separate Rechtsvorschriften umgesetzt werden. Begleitet wird die Säule von einer Reihe gesetzlicher und gesellschaftlicher Initiativen, etwa ein Richtlinienvorschlag zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige sowie zwei Sozialpartnerkonsultationen zur Modernisierung der Regeln für Arbeitsverträge und dem Zugang zum Sozialschutz. Weitere Initiativen könnten in Zukunft im Rahmen der jährlichen Arbeitsprogramme folgen.
Position der Sozialdemokraten: Die Säule kann nur über ein symbolisches Bekenntnis zur sozialen Dimension der EU hinausgehen, wenn die neuen Maßnahmen tatsächlichen Einfluss auf entscheidende Lebens- und Arbeitsbereiche der Bürger haben. Nach dieser Bemessungsgrundlage sind die Vorschläge der Kommission bisher unzureichend. Wir bewerten die inhaltliche Ausrichtung der 20 Grundsätze generell positiv, doch bleibt das vorgestellte Paket weit hinter den Erwartungen zurück. Anstatt ein rechtsverbindliches Instrument für ganz Europa mit individuell einklagbaren Rechten zu schaffen, wurden unverbindliche Grundsätze für die Eurozone formuliert.
Auf die Forderungen des Europäischen Parlaments nach Garantien gegen Kinderarmut, Jugendarbeitslosigkeit und auf Weiterbildung sowie einer Rahmenrichtlinie über menschenwürdige Arbeitsbedingungen für alle Formen der Erwerbstätigkeit geht die Kommission nicht ein. Wir Sozialdemokraten wollen zudem ein existenzsicherndes Mindesteinkommen von 60 Prozent des jeweiligen nationalen Durchschnittseinkommens durchsetzen. Diese Prozentzahl ersetzte die Kommission durch vage Versprechungen, was diesem Prinzip jegliche politische Relevanz entzieht.
Positiv zu bewerten ist hingegen die Absicht der Kommission, die Stellung der Sozialpartner zu stärken. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sollen sowohl im Konsultationsprozess als auch in der Umsetzung der Grundsätze eine besondere Rolle einnehmen. Wie sich dies genau gestalten soll, muss sich allerdings noch zeigen. Wir Sozialdemokraten bleiben dran.
Zeitplan: Auf der Grundlage des Textes zur Säule wird die Kommission nun Gespräche mit dem Europäischen Parlament und dem Rat aufnehmen, um auf eine breite politische Unterstützung und eine Billigung der Säule auf höchster Ebene hinzuarbeiten. Ein gemeinsamer Vorschlag aller drei Institutionen zur Bekräftigung der Grundsätze, die in der Säule formuliert wurden, soll bis Ende des Jahres unterzeichnet werden. Entscheidend für die konkrete Ausformulierung der Grundsätze soll der Sozialgipfel zur fairen Arbeit und Wachstum am 17. November in Göteborg sein.