Hintergrund: Im März 2018 legte die Kommission ihr sogenanntes ‚Winterpaket‘ des Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik vor. Dieses enthält die Länderberichte für die Mitgliedstaaten, die deren Fortschritte mit Blick auf die wirtschaftliche und soziale Lage bewerten und auf dieser Grundlage länderspezifische Empfehlungen enthalten.
Neue Indikatoren: sozialpolitisches Scoreboard
Gleich zwei positive Aspekte unterscheiden die diesjährigen Länderberichte von denen der letzten Jahre: Erstmalig wurden die im Rahmen der Europäischen Säule sozialer Rechte entwickelten Indikatoren des ‚sozialpolitischen Scoreboards‘ berücksichtigt. Mit dem Scoreboard werden die gesellschaftlichen Fortschritte der Länder in den Bereichen Beschäftigung und Soziales überwacht. Insgesamt umfasst das Scorebord zwölf Bereiche, die zur Bemessung des gesellschaftlichen Fortschritts herangezogen werden. Darunter befinden sich die Aspekte der Chancengleichheit in Bezug auf Bildung, Kompetenzen und lebenslanges Lernen, Geschlechtergleichstellung, Ungleichheit und Lebensbedingungen sowie das Funktionieren der Arbeitsmärkte inklusive Stellensuche, Arbeitsbedingungen, Löhne, Gehälter und Sozialschutz.
Deutschland mit Licht und Schatten
Bei der Bewertung durch die sozialpolitischen Indikatoren macht Deutschland eine relativ gute Figur. Auch wenn weiterhin ein großes geschlechtsspezifisches Beschäftigungs- und Lohngefälle besteht, ist die Arbeitslosigkeit auf einem Rekordtief und es gibt viele offene Stellen. Herausforderungen bestehen vor allem in Hinblick auf die schlechte Lohnentwicklung sowie eine starke Segmentierung des Arbeitsmarktes in Bezug auf Chancengleichheit und faire Arbeitsbedingungen. Auch bestimmte Steuerregelungen machen es für Zweitverdiener (Ehegattensplitting) und Geringverdiener (Grenzsteuersatz) unattraktiv, die Arbeitszeit aufzustocken. Erschreckend ist ebenfalls, dass die Reichweite von Tarifverträgen in Deutschland in den letzten 30 Jahren schneller abgenommen hat, als in den anderen westeuropäischen Ländern: von rund 85 Prozent im Jahr 1985 auf nur noch 56 Prozent im Jahr 2014.
Steuerdumping unter Beobachtung
Eine weitere Neuerung in den Länderberichten für das Europäische Semester ist, dass die EU- Kommission erstmals sieben Mitgliedstaaten wegen Steuerdumpings unter Beobachtung genommen hat. Diese Länder sind Belgien, Zypern, Ungarn, Irland, Luxemburg, Malta und die Niederlande.
Stärkstes EU-Wachstum seit zehn Jahren
Die europäische Wirtschaft verzeichnet derzeit das stärkste Wachstum seit über zehn Jahren, was gleichzeitig zu einer Verbesserung der Arbeitsmarktergebnisse und der sozialen Lage in den Mitgliedstaaten führt. Die Arbeitslosenquote ist fast wieder auf einem Niveau angekommen wie vor der Finanzkrise, und insgesamt befinden sich derzeit mehr Menschen in Arbeit als je zuvor. Das BIP hatte ein Wachstum von 2,4 Prozent in 2017 zu verzeichnen, was die vorausgesagten Prognosen überstieg. Gleichzeitig bestehen weiterhin beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. In Anbetracht des anhaltenden Wirtschaftswachstums, positiver Wirtschaftsprognosen und der sinkenden Arbeitslosenraten sieht die Kommission es jetzt als den geeigneten Zeitpunkt, um notwendige Reformen in den Mitgliedstaaten anzugehen. Die Kommissarin für Beschäftigung und Soziales, Marianne Thyssen, betonte in diesem Zusammenhang, dass soziale und ökonomische Entwicklung hierbei Hand in Hand gehen müssen.
Position der Sozialdemokraten: Gleich zwei unserer Herzensangelegenheiten haben Eingang in das EU-Semester gefunden. Zum einen haben wir uns schon lange für eine Aufwertung der sozialen Rechte gegenüber den wirtschaftlichen Freiheiten in der Koordinierung der Wirtschaftspolitik stark gemacht. Zu lange hat die Kommission mit ihrer Austeritätspolitik soziale Rechte ignoriert. Sie muss jetzt zeigen, dass es ihr ernst ist mit der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in der EU. Die Einführung sozialpolitischer Indikatoren ist ein wichtiger erster Schritt. Allerdings ist fraglich, ob Empfehlungen allein reichen, um diese Ziele zu erreichen.
Kampf gegen Steuersparmodelle von Mitgliedstaaten
Zum anderen kämpfen wir seit Jahren darum, dass schädliche Steuerpraktiken einiger Mitgliedstaaten in die Bewertung der wirtschaftlichen Performance im EU-Semester einfließen. Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten durch Steuergesetzgebung oder spezialisierte Steuersparmodelle müssen ein Ende haben. Die verschiedenen Steuer-Skandale, wie Luxleaks oder die Panama Papers, haben die Schäden zum Vorschein gebracht, die ein steuerlicher Unterbietungswettbewerb hervorrufen kann.
Zeitplan: Als nächste Schritte im Europäischen Semesterzyklus sind die Mitgliedstaaten angehalten, bis Mitte April ein nationales Programm auszuarbeiten, um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Länder weiter zu verbessern. Hierzu wird die Kommission Gespräche mit den nationalen Regierungen, Parlamenten und SozialpartnerInnen führen. Auf deren Grundlage wird die Kommission im Mai die länderspezifischen Empfehlungen veröffentlichen, um die in den Länderberichten aufgezeigten Schwachstellen weiter zu bekämpfen. Hier wird sich auch entscheiden, ob die Kommission gegenüber den betroffenen Mitgliedstaaten tatsächlich länderspezifische Empfehlungen gegen Steuerdumping ausspricht.