In der vergangenen Woche hat Jean-Claude Juncker vor dem Europäischen Parlament seine alljährliche Rede zur Lage der Union gehalten – die letzte seiner Amtszeit als Kommissionspräsident. Die Sozialpolitik wurde nur in einem Satz erwähnt. Nichts Konkretes, aber mit mahnendem Finger hat er immerhin an die Wichtigkeit der sozialen Dimension in der EU erinnert. Am Anfang seiner Amtszeit hörte sich dies noch anders an. 2015 gab Juncker noch das Ziel aus, für Europa ein „AAA“-Rating in sozialen Fragen zu erlangen. Doch hat er sich diese Note auch verdient?
Juncker hat soziale Rechte auf die Agenda gesetzt
Junckers Regentschaft hat durchaus einige Erfolge zu vermelden: Die Beschäftigung ist im Aufwind. Allein seit 2014 sind in der EU fast 12 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden, mehr als etwa Belgien Einwohner hat. Nie zuvor standen in Europa so viele Menschen, 339 Millionen Frauen und Männer, in Lohn und Brot.
Ebenso hat die EU-Kommission einen Prozess in Gang gesetzt, der 2017 zur Proklamation einer Europäischen Säule sozialer Rechte führte. Die Säule hat zwar keinen bindenden Rechtscharakter aber zumindest bewirkt, dass die europäische Beschäftigungs-und Sozialpolitik wieder höher auf der politischen Agenda gerückt ist. Auch wurden einige Initiativen angestoßen, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen des Arbeitsmarktes zu begegnen, etwa zZur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, zur Stärkung der Informationsrechte von ArbeitnehmerInnen gegenüber ArbeitgeberInnen, zur Durchsetzung des Prinzips ‚gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort‘ und zur effektiveren grenzüberschreitenden Sankionierung von Verstößen auf dem europäischen Arbeitsmarkt. Das ist alles richtig und wichtig.
Juncker hat die drängenden Probleme nicht angepackt
Einige der drängendsten sozialen Probleme wurden jedoch nicht angegangen, was am härtesten die jungen Europäer trifft. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs in Europa alarmierende 14,8 Prozent, wobei es Spanien mit 34,1 Prozent am stärksten betrifft. Laut der EU-Statistikbehörde Eurostat war 2016 zudem jedes vierte Kind in der EU durch Armut oder soziale Ausgrenzung bedroht. Obwohl Deutschland im europäischen Vergleich ganz gut dar steht, lebt auch hierzulande jedes fünfte Kind dauerhaft in Armut.
Diese Bilanz ist nicht ausreichend, Herr Juncker. Die Zahlen zeigen einen unhaltbaren Zustand in einer der reichsten Regionen der Welt. Wenn diese Situation nicht durch entschlossenes politisches Handeln angegangen wird, laufen wir Gefahr einen großen Teil der heranwachsenden Generation für Europa zu verlieren.
Jugendgarantie endlich umsetzen – Kindergarantie muss kommen
Wir Sozialdemokraten fordern daher eine Kindergarantie, durch die jedes Kind in Europa Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung, Bildung und Betreuung sowie zu menschenwürdiger Unterkunft und ausreichender, gesunder Ernährung haben soll. Außerdem müssen die Anstrengungen für die von den Sozialdemokraten 2013 erkämpfte Jugendgarantie weiter verstärkt werden. Diese sieht vor, dass junge Menschen unter 25 Jahren in allen EU-Mitgliedsstaaten innerhalb von vier Monaten nach Beginn einer Arbeitslosigkeit oder dem Abschluss einer Ausbildung ein qualitativ hochwertiges Beschäftigungsangebot erhalten sollen. Das kann eine Fortbildung, ein Ausbildungsplatz oder ein bezahltes Praktikum sein. Was es für die Realisierung der Jugendgarantie jetzt braucht, ist eine bessere finanzielle Ausstattung, eine bessere Umsetzung auf nationaler Ebene sowie mehr und qualitativ hochwertigere Beschäftigungsangebote.
Erst wenn die genannten sozialen Probleme wirklich angegangen werden und es reale Verbesserungen für die (jungen) Menschen gibt, kann sich die EU-Kommission ein „AAA“-Rating verdienen. Junckers Zeit jedoch wird dann längst abgelaufen sein.