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Der Fall TUI: Nationale Mitbestimmungsrechte verteidigen

Politischer Hintergrund: In deutschen Unternehmen wählen allein die in Deutschland Beschäftigten ihre Vertreter im Aufsichtsrat. Die Belegschaften der Auslandsfilialen dürfen nicht mit abstimmen. Ein TUI-Kleinaktionär hatte dagegen Klage eingereicht mit der Begründung, dass die deutsche Unternehmensmitbestimmung EU-Ausländer diskriminiere. 2015 hat ein Berliner Kammergericht die Klage an den EuGH weitergereicht. Der soll klären, ob die deutsche Unternehmensmitbestimmung in transnationalen Unternehmen gegen das Diskriminierungsverbot und die Arbeitnehmerfreizügigkeit verstößt.

Die EU-Kommission hat zunächst die Sicht der Anklage aufgegriffen und gestärkt. Dort heißt es, die Mitbestimmungsregelung sei geeignet, „die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu behindern oder weniger attraktiv zu machen“. Im Januar 2017 ruderte die Kommission allerdings in einer Anhörung vor dem EuGH zurück und  stellte fest: „Arbeitnehmermitbestimmung ist ein wichtiges politisches Ziel. Jede daraus möglicherweise resultierende Beschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern kann durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden, das System der Mitbestimmung und dessen soziale Ziele zu schützen. Folglich ist die Kommission der Auffassung, dass die bestehenden deutschen Vorschriften als mit dem EU-Recht vereinbar angesehen werden können.”

Die Rechtsvertreter von Deutschland, Österreich, Frankreich, den Niederlanden und Luxemburg haben Ende Januar bei einer EuGH-Anhörung das deutsche Mitbestimmungsgesetz unterstützt.

Meine Position: Die Initiierung des Verfahrens ist ganz klar ein weiterer Versuch, über den Umweg Europa die Abschaffung des nationalen Rechts auf Mitbestimmung zu erreichen. Die Klage basiert auf zwei falschen Grundannahmen. Eine tatsächliche Diskriminierung ausländischer Mitarbeiter würde nach EU-Recht allein dann vorliegen, wenn in einer deutschen Niederlassung nur der deutsche Mitarbeiter wählen dürfte, nicht aber der belgische Kollege. In diesem Fall haben beide ein Wahlrecht und in der ausländischen Niederlassung entsprechend keiner.

Zweitens wird mit der Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit argumentiert, da Mitarbeiter ihr Recht verlieren, zu wählen oder gewählt zu werden, wenn sie in eine Auslandsfiliale des deutschen Unternehmens wechseln. Die Regeln zur Aufsichtsratswahl würden so den Arbeitsplatzwechsel im Konzern verhindern. Dies ist absurd. Die Änderung der Rechtsansprüche beim Wechseln Beschäftigter in einen Betrieb ins Ausland, etwa beim Kündigungsschutz, ist ein normaler Vorgang. Es wäre ebenso abwegig zu argumentieren, dass in deutschen Niederlassungen französischer Konzerne das französische Streikrecht gelten müsste.

Die erste positive Reaktion der Kommission auf die Argumentation des Klägers bleibt jedoch besorgniserregend. Auch wenn die Kommission ihre Position in der Anhörung geändert hat, bleibt ihre primäre Argumentation bestehen. Es ist gefährlich, die EU-Grundfreiheiten, in diesem Falle das Diskriminierungsverbot und die Arbeitnehmerfreizügigkeit, weiter zu überdehnen.  Die nationalen Mitbestimmungsrechte, die es in 17 Mitgliedstaaten gibt, dürfen über diesen Umweg auf keinen Fall angetastet werden. Die sozialen Grundrechte müssen dringend gegenüber der unternehmerischen Freiheit gestärkt werden.

Zeitplan: Im Sommer 2017 wird dazu vom EuGH eine Entscheidung erwartet. Bei der Entscheidung sind im Wesentlichen drei Ausgangsszenarien denkbar: Deutsche Mitbestimmung verstößt nicht gegen EU-Recht, deutsche Mitbestimmung verstößt nicht gegen EU-Recht, aber Arbeitnehmer aus anderen MS müssen beteiligt werden oder deutsche Mitbestimmung verstößt gegen EU-Recht.