Was bedeutet die deutsche Ratspräsidentschaft – für Bremen, Deutschland und Europa?

Am Mittwoch besuchte die deutsche Kanzlerin Merkel das Europäische Parlament. Diese erste Auslandsreise der Kanzlerin hatte einen seltenen Anlass, Deutschland übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft. Der Vorsitz im Rat der Europäischen Union rotiert gemäß Art. 16 Abs. 9 EU-Vertrag zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Alle sechs Monate wechselt die Ratspräsidentschaft zwischen den EU-Mitgliedsländer, entsprechend selten übernimmt auch Deutschland diese Position – zuletzt 2007.

Die Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik liegt in einer sehr kritischen und für den Fortbestand der EU wichtigen Phase. Die Priorität der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird auf dem Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft nach der Corona-Krise liegen. Dazu müssen die Verhandlungen um das Wiederaufbaupaket von 750 Mrd. Euro und der mehrjährige EU-Finanzrahmen von 1100 Mrd. Euro für die Jahre 2021-2027 am besten noch im Juli abgeschlossen werden. Der Wiederaufbau muss mit der Gestaltung der drängenden Zukunftsaufgaben – Klimaschutz und digitale Transformation – verknüpft werden.

Lange war Deutschland nicht gerade vorneweg bei der europäischen Krisenlösung, doch nun hat Angela Merkel eine europapolitische Kehrtwende vollzogen. Passend zum Beginn der Ratspräsidentschaft und auf Drängen von Finanzminister Olaf Scholz tritt jetzt auch die Kanzlerin für ein kreditfinanziertes, milliardenschweres, europäisches Konjunkturprogramm ein. Und die Gelder sollen im Wesentlichen als Zuschüsse an die Mitgliedstaaten ausgezahlt werden. Merkel ist in der Verantwortung, in der deutschen Ratspräsidentschaft ein vernünftiges Aufbauprogramm in Europa auch gegen konservative Widerstände durchzusetzen.

Bremen und Bremerhaven haben ein hohes Interesse an einer erfolgreichen deutschen Ratspräsidentschaft. Als wichtige Standorte der Luft- und Raumfahrt, der Stahlerzeugung und des Automobilbaus brauchen wir europäische Unterstützung für eine ökologische und digitale Transformation. Eine effektive europäische Industriepolitik ist erforderlich, um die bremische Industrie zu erhalten und Impulse für den Übergang zu einer Wasserstoffwirtschaft zu setzen. Als Hafenstandort haben wir zudem ein direktes Interesse an einer Erholung der Weltkonjunktur und auch zukünftig umfangreichen Beziehungen zu Großbritannien.

Bild: Laurie DIEFFEMBACQ © European Union 2020 – EP