Positionspapier: Ein neuer wirtschaftspolitischer Rahmen für die Europäischen Union

Die EU-Kommission hat im November 2022 Vorschläge zur Reform der Europäischen Fiskalregeln vorgelegt. Damit reagierte sie auf gravierende Probleme des aktuell gültigen Regelwerkes. Die Europa-SPD unterstützt die Reform der Europäischen Fiskalregeln ausdrücklich. Das fiskalpolitische Rahmenwerk muss an die heutigen Realitäten angepasst werden. Das heißt, dass wir neue und bessere Regeln brauchen für nachhaltige Staatsfinanzen und gleichzeitig finanzielle Spielräume für Zukunftsinvestitionen.

Die klimaneutrale Transformation der Europäischen Union kann in einem gemeinsamen Binnenmarkt mit gemeinsamer Währung und gleichzeitig unterschiedlichen nationalen Wirtschaftsstrukturen sowie regionalen und sektoralen Spezialisierungen nur als europäisches Projekt gelingen. 

Daher brauchen wir dringend einen entschlossenen, koordinierten und solidarischen Ansatz der europäischen Wirtschaftspolitik, um die wirtschaftliche, soziale und energetische Krise gemeinsam anzugehen und ein Auseinanderdriften der EU zu verhindern.

Für eine gelungene Reform der Fiskalregeln ist nach Auffassung der SPD-Europaabgeordneten künftig eine Unterscheidung zwischen konjunkturellen Krisen- und Aufschwungphasen erforderlich. Außerdem müssen die neuen Regeln ein stärkeres Augenmerk auf die nachhaltige Finanzierung von öffentlichen Ausgaben legen.

Die Reform sollte auf den folgenden Grundlagen beruhen:

  • In Phasen des Aufschwungs muss grundsätzlich ein gesundes Gleichgewicht zwischen Staatseinnahmen und -ausgaben sichergestellt sein, sodass Schulden abgebaut und Rücklagen aufgebaut werden können.
  • Unabhängig von der Schuldenobergrenze, muss der notwendige Abbau von Schulden künftig wachstumsfreundlich ausgerichtet sein und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten berücksichtigen. Dabei sollte der Schuldenabbau im Verhältnis zum Wachstum des Bruttoinlandsproduktes gestaltet werden und nicht starren Entschuldungsraten folgen.
  • Wir müssen das bisherige sanktionsbasierte Regelwerk durch anreizorientierte Elemente ergänzen, die für die Mitgliedstaaten ein regelkonformes Verhalten und Investitionen in europäische Prioritäten attraktiver machen sowie nationale Reformvorhaben unterstützen. Dazu können wir viel von dem Kriseninstrument NextGenerationEU lernen, das gegen die Pandemie geschnürt wurde.
  • Für Krisenphasen muss das zukünftig reformierte Regelwerk sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten notwendige fiskalpolitische Spielräume nutzen können, ohne durch eine ‚Escape-Clause‘ das komplette Regelwerk gänzlich auszusetzen. Die ‚Escape-Clause‘ sollte in Zukunft nur als Ultima Ratio bestehen bleiben.
  • Für die Zukunftsfähigkeit der EU ist es von zentraler Bedeutung, öffentliche Investitionen langfristig auf einem höheren Niveau zu stabilisieren. Auch Staaten mit einem höheren Schuldenstand müssen in der Lage sein, die klimaneutrale Transformation zu realisieren. Dies kann nur europäisch gelingen. Daher müssen wir auch eine Antwort darauf geben, wie ein höheres öffentliches Investitionsniveau, auch nach dem Auslaufen des Wiederaufbaufonds nach 2026, gesichert werden kann.
  • Wir brauchen eine stärker harmonisierte und regelbasierte EU-Steuerpolitik. Das bedeutet sowohl eine striktere Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Geldwäsche und wirksamere Vorkehrungen gegen schädliche Steuerkonkurrenz zwischen den Mitgliedstaaten, als auch steuerpolitische Vereinbarungen, um zum Beispiel Steuersenkungsvorhaben einzelner Mitgliedstaaten, die einer notwendigen Schuldenreduzierungen entgegenstehen, zu verhindern.
  • Um die Auswirkungen von Wirtschafts- und Finanzkrisen auf die Mitgliedstaaten besser auszugleichen und die Krisenresistenz der EU zu stärken, muss der wirtschaftspolitische Rahmen der EU durch eine dauerhafte EU-Arbeitslosenrückversicherung ergänzt werden. Dazu könnte das erfolgreiche Kriseninstrument SURE weiter ausgebaut werden. Ein solches Instrument würde in Krisenzeiten automatisch in Kraft treten, um Kurzarbeit und ähnliche Maßnahmen finanziell zu unterstützen.

Bewertung des Kommissionsvorschlags:

Die von der Kommission vorgelegte Kommunikation adressiert bereits viele Schwächen der bisherigen Fiskalregeln und bildet eine solide Grundlage für die Reformdiskussion. Gleichzeitig sind noch wichtige Punkte offen und müssen weiter konkretisiert werden:

Ja zu länderspezifischer Flexibilität beim Abbau der Staatschulden: Ein ‚one size fits all’ ist bei den unterschiedlich hohen Schuldenständen, die sich in Folge der Covid-Pandemie und der Energiekrise noch weiter vertieft haben, realitätsfern. Ein nachhaltiger und wachstumsfreundlicher Weg zum Schuldenabbau und dauerhafter Schuldentragfähigkeit ist möglich und muss durch entsprechende Regeln sichergestellt werden.

  • Aber: Wir brauchen gleiche Regeln für alle. Trotz mehr länderspezifischer Flexibilität beim Schuldenabbau müssen alle Mitgliedstaaten nach gleichen Maßstäben bewertet und im Ergebnis gleichbehandelt werden. Dazu müssen klare und transparente Kriterien definiert werden, nach denen die Schuldenabbaupfade berechnet, und die Schuldentragfähigkeitsanalyse durchgeführt werden können. Die Anforderungen zum Schuldenabbau müssen ins Verhältnis zum Wachstum gesetzt, und die Schuldentragfähigkeit in Abhängigkeit von den Staatseinnahmen ermittelt werden.

Ja zu einer einzigen Ausgabenregel: Der Paradigmenwechsel der EU-Kommission von strukturellen Defiziten hin zu einer einzigen Ausgabenregel erhöht zugleich die Transparenz und reduziert die Komplexität für die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Regeln. Gleichzeitig lässt sie einen gewissen Spielraum zwischen ihrem individuellen Schuldenabbaupfad und der Defizitobergrenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, zur Finanzierung von öffentlichen Investitionen, zu.  

  • Aber: Dies wird nicht ausreichen um die massiven Investitionsbedarfe für die klimaneutrale Transformation in Europa zu decken. Viele Länder werden diese alleine nicht stemmen können. Wir brauchen eine koordinierte und solidarische Lösung, um die zukünftigen Herausforderungen wie die sozial-ökologische Transformation, die Energiewende und die Digitalisierung gemeinsam anzugehen. Ziel muss es sein, die gesteigerten Investitionen durch NextGenerationEU auch nach 2026 zu verstetigen, damit dauerhaft öffentliche Investitionen in europäisch definierte Schlüsselbereiche sichergestellt werden können, ohne Haushaltsmittel in anderen wichtigen Bereichen zu kürzen. Ein dauerhafter Investitionsmechanismus mit einem Volumen von etwa einem Prozent der europäischen Wirtschaftskraft nach dem Modell des Wiederaufbaufonds, basierend auf EU-Anleihen, wäre eine passende Antwort auf die massiven Finanzierungsbedarfe der Mitgliedstaaten. Zur Re-Finanzierung müssen die Eigenmittel der EU ausreichend erhöht werden.

Ja zu besseren Durchsetzungsmechanismen: Während den Mitgliedstaaten mehr Spielraum bei der Gestaltung ihrer finanzpolitischen Ziele eingeräumt werden soll, sieht die EU-Kommission eine strengere Durchsetzung der Regeln und Sanktionierung bei Verstößen gegen jene vor.

  • Aber: Wo sind die Anreize? Um die Regierungen stärker zu motivieren, die Regeln für den Schuldenabbau und öffentliche Ausgaben zu befolgen, könnte die Einhaltung dieser Regeln eine Bedingung für den Zugang zu Mitteln aus einem neuen EU-Investitionsfonds sein. Dies würde das Instrumentarium zur Einhaltung der Vorschriften durch einen anreizbasierten Ansatz ergänzen.

Ja zur Anpassung der Economic Governance an die Erfolge des EU-Wiederaufbaufonds: Die Vorschläge der Kommission zeigen, dass sie bereit ist, aus den positiven Erfahrungen aus NextGenerationEU zu lernen. Dies gilt insbesondere in Hinblick auf die Wechselwirkung zwischen Reformen und Investitionen, sowie die Einbindung der Mitgliedstaaten in die Entwicklung der Wiederaufbaupläne. Aus Sicht der Europa-SPD ist dies ein gelungenes Modell für die Zukunft: Demokratisch festgelegte Leitlinien auf EU-Ebene und Einbindung der Mitgliedstaaten in die Ausarbeitung der länderspezifischen Reformen, die an die Auszahlung von zusätzlichen europäischen Mitteln geknüpft sind.

  • Aber: Die Rolle der Kommission in der künftigen EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik würde laut den aktuellen Vorschlägen gestärkt werden, insbesondere durch die enge Abstimmung mit den Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung der nationalen Finanz- und Strukturpläne und deren Bewertung. Die Europa-SPD fordert, dass entsprechende demokratische Kontrollen und Gegengewichte im künftigen Rahmenwerk verankert werden, die den Parlamenten auf europäischer und nationaler Ebene eine starke Rolle geben. Außerdem müssen Sozialpartner:innen eingebunden werden.

Fazit:

Wir brauchen ein vereinfachtes, flexibleres und gleichzeitig verbindlicheres Rahmenwerk für die wirtschafts- und finanzpolitische Koordinierung. Das heißt, eine an der Wirtschaftskraft orientierte Ausgabenregel, die mit einheitlich greifenden Korrekturmechanismen kombiniert wird, sollten einzelne Mitgliedstaaten gemeinsame Zielvorgaben verfehlen. Um die künftigen Regeln verbindlicher und attraktiver zu machen, sollten außerdem die notwendigen Reformen und fiskalischen Anpassungen mit Anreizen durch einen verstetigten europäischen Investitionsfonds verbunden werden, der nach 2026 nahtlos an den EU-Wiederaufbaufonds anknüpft. Damit kann es dann auch gelingen, die notwendige Steigerung öffentlicher Investitionen in europäische Schlüsselbereiche zu gewährleisten und aktuelle Herausforderungen im Bereich Klima, Energie und Digitalisierung solidarisch zu meistern. Gleichzeitig muss dafür auch die Einnahmenseite durch stärker koordinierte Steuerpolitik und neue europäische Eigenmittel sowohl national als auch europäisch gestärkt werden.

Beitragsbild: Ola FRAS © European Union 2022 – Source : EP