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Lichtblicke für die Stahlindustrie – Die neue Industriestrategie für Europa

In den letzten Monaten konnten erste Erfolge im Kampf um den Erhalt einer leistungsfähigen und perspektivisch klimaneutralen europäischen Stahlindustrie erzielt werden. So beinhaltet die Mitteilung der Kommission „Eine neue Industriestrategie für Europa“, bei der der niederländische Kommissions-Vize und Sozialdemokrat Frans Timmermans federführend ist, einige wesentliche Passagen:

Frans Timmermans Kommissar für den Green Deal
Bild: European Union 2019 – Source : EP – Benoit BOURGEOIS

„Im Zuge der Transformation Europas hin zur Klimaneutralität müssen bestimmte Wirtschaftszweige einen umfangreicheren und tieferen Wandel durchlaufen als die meisten anderen. Energieintensive Industrien sind für andere Wirtschaftszweige unverzichtbar. Deshalb muss ein Hauptaugenmerk auf die Modernisierung und Dekarbonisierung energieintensiver Industrien gerichtet werden.

Im Rahmen des europäischen Grünen Deals sollen neue Märkte für klimaneutrale und kreislauffähige Produkte wie Stahl, Zement und chemische Grundstoffe geschaffen werden. Um bei dieser Entwicklung eine Führungsrolle zu übernehmen, braucht Europa neuartige industrielle Verfahren und mehr saubere Technologien, um die Kosten zu senken und die Marktreife zu verbessern.

Eine neue Industriestrategie für Europa (Seite 9)

Und weiter hinten verspricht die Kommission wichtige Technologien für CO2-freien Stahl durch einen Innovationsfonds zu unterstützen und kündigt für 2021 ein CO2-Grenzausgleichssystems an, „um im Einklang mit den WTO-Regeln dem Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen zu begegnen.“

Die Kommission hat erkannt: ohne Unterstützung, keine nachhaltige Stahlproduktion

Diese eindeutigen programmatischen Ankündigungen sind aus meiner Sicht ein deutlicher Fortschritt. Es wird damit nicht der Auffassung einiger Staaten aber auch einiger VertreterInnen anderer Branchen und Sektoren gefolgt, nach der die Aufrechterhaltung einer eigenen leistungsfähigen Stahlindustrie für Europa von nachrangiger Bedeutung ist. Vielmehr wird festgehalten, dass die Stahlindustrie für die europäische Wirtschaft und Industrie von grundlegender Bedeutung ist. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Kommission grundsätzlich erkannt hat, dass ohne staatliche Unterstützung das Ziel einer klimaneutralen Stahlindustrie nicht zu erreichen ist. Und sie benennt, dass dies eine Kombination von Schutzmaßnahmen gegen außereuropäischen „C02-reicheren“ Stahl und einer deutlichen Förderung der notwendigen Transformation erfordert.

Politisch ist zudem wichtig, dass dieses grundsätzliche Ziel durch eine Kombination unterschiedlicher Maßnahmen in verschiedenen Varianten erreicht werden kann. 2020 und 2021 werden dazu grundlegende Weichenstellungen bei zwei Regulierungen vorgenommen werden:

a. Das grüne Grenzausgleichssystem

Die übliche Konsultationsphase für die Erarbeitung einer entsprechenden Verordnung ist eingeleitet. Auf Basis der Ergebnisse beabsichtigt die Kommission im ersten Quartal 2021 einen Regulierungsvorschlag zu unterbreiten. Es ist ein Fortschritt, dass die Kommission nicht mehr von einer green-border-tax spricht, weil diese nicht mit dem Regelwerk der Welthandelsorganisation kompatibel wäre. Stattdessen ist nun von einem Grenzausgleich die Rede, wobei wohl daran gedacht ist, dass importiertem Stahl (oder auch anderen Waren) die gleichen Kosten aufgebürdet werden, wie es innerhalb der EU durch den Emissionshandel geschieht. Umgekehrt müssten europäische Stahlexporte in dem gleichen Umfang von Kosten der Zertifikate befreit werden. So ein Grenzausgleich ist technisch zwar nicht ganz einfach, aber inhaltlich grundsätzlich möglich und zielführend. Allerdings ist anzumerken, dass mächtige Industrien ihren Widerstand gegen einen solchen Grenzausgleich nicht aufgegeben haben und diesen als Protektionismus diffamieren. Und dies, weil sie Angst vor Trump haben.

b. Emissionshandel

Auch wenn das aktuelle Emissionshandelssystem bis 2026 gültig ist, ist es wahrscheinlich, dass eine Reform des ETS schon 2021 aufgerufen wird. Hintergrund dafür ist, dass eine Erreichung der ambitionierten CO2-Minderungsziele es nahelegt, dass System auf weitere Bereiche auszudehnen und zu verschärfen. Die Interessenverbände der Stahlindustrie lobbyieren zurzeit für eine Ausweitung oder zumindest Beibehaltung der Ausnahmen für den Stahl, also mehr kostenlose Zertifikate und Ausnahmen bei der jährlichen Reduzierung der Zertifikate. Das würde zwar die Stahlindustrie entlasten, aber meines Erachtens sind die politischen Erfolgsaussichten für diese Forderungen gering. Aus meiner Sicht geht die Tendenz der Mehrheit der PolitikerInnen eindeutig in Richtung einer Verschärfung des Klimaschutzes und deshalb mehr in die Richtung Abschaffung der Ausnahmeregelungen im ETS. 

c. Die Kombination beider Regulierungen

Wichtig ist es, beide Regulierungen in ihrer Verbindung zu sehen. Dabei gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten:

1. Wenn ein wirkungsvoller Grenzausgleich installiert wird, besteht kein prinzipieller Grund für zusätzliche Schutzmaßnahmen im Rahmen des ETS. Es bestehen faire, globale Wettbewerbsbedingungen. Und dass die daraus entstehenden Preiserhöhungen für Stahl zu einem gravierenden Nachfrageeinbruch führen, halte ich auf absehbare Zeit für unwahrscheinlich. Zudem sollte die Möglichkeit des ETS genutzt werden, die Einnahmen des Emissionshandels konsequent zur umfänglichen Förderung notwendiger, aber teurerer Investitionen für eine CO2-ärmere oder letztlich klimaneutrale Produktionsanlagen zu nutzen. Dazu wäre wahrscheinlich auch eine Anpassung des europäischen Wettbewerbs- und Beihilferechtes erforderlich.

2. Sollte es keinen oder nur einen unzureichenden Grenzausgleich geben, fehlt in dem Gesamtsystem ein wesentlicher Schutzmechanismus. Das wäre dumm, könnte aber durch mehrere Maßnahmen ausgeglichen werden, etwa durch Ausnahmen für die Stahlindustrie beim ETS, durch eine deutlich höheren Förderung der Investitionen oder eine Förderung von grünem Stahl mittels einer Verordnung, die einen verpflichtenden und jährlich steigenden Anteil von grünem Stahl am Stahlverbrauch vorsieht.  

Welche der Kombinationsmöglichkeiten in den nächsten zwei Jahren zum Zuge kommt, wird abhängig von den verschiedenen Auseinandersetzungen und Interessen in den einzelnen Mitgliedstaaten wie auf der europäischen Ebene sein.

Das Originaldokument der EU-Kommission zur Industriestrategie steht hier zum Download bereit.