Das Jahr 2020 – Kehrtwende der europäischen Wirtschaftspolitik

Das Jahr 2020 kann aus vielerlei Hinsicht als historisch bezeichnet werden – aus Sicht der europäischen Wirtschaftspolitik gleich aus mehreren Gründen.

Nach anfänglichen Tendenzen der nationalen Abschottung ist es der EU gelungen innerhalb weniger Monate ein umfassendes Krisenpaket zu schnüren, dass noch Anfang des Jahres undenkbar gewesen wäre. Das 750 Milliarden Euro umfassende Wiederaufbaupaket ‚Next Generation EU‘, beruht auf der gemeinsamen Schuldenaufnahme der EU-Mitgliedstaaten – dies war grade in konservativen Kreisen bisher unvorstellbar. Mit dem Konjunkturprogramm werden nicht nur die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abgemildert, sondern gleichzeitig der Weg für eine rasche wirtschaftliche Erholung in Verbindung mit den europäischen Prioritäten Klimaschutz und Digitalisierung bereitet. Als starkes Zeichen europäischer Solidarität sollen zudem 390 Milliarden Euro des Wiederaufbaufonds als nicht rückzahlbare Finanzhilfen vor allem an die am schwersten von der Krise betroffenen Länder in Süd- und Osteuropa fließen.

Ein weiterer Meilenstein ist die Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten auf einen Fahrplan für neue europäische Abgaben und Steuern zur Generierung sogenannter EU-Eigenmittel. Dafür haben wir Sozialdemokraten im Europäischen Parlament schon lange gekämpft. Zukünftig sollen Einnahmen u.a. aus einer EU-weiten Plastik- und Digitalsteuer sowie einem CO2-Grenzausgleichssystem für die Rückzahlung der EU-Schulden eingesetzt werden. So tragen auch die größten Umweltverschmutzer und multinationale Großunternehmen ihren gerechten steuerlichen Anteil zur Finanzierung der Krisenkosten. In den nächsten Jahren wird es darauf ankommen die als Teil des Krisenpakets beschlossenen neuen Eigenmittel konsequent einzuführen und umzusetzen.

Eine weitere wichtige Debatte ist durch die Krise wieder in den Vordergrund gerückt, denn die Covid19-Pandemie demonstriert den Konstruktionsfehler der europäischen Gemeinschaft deutlicher denn je: Für den langfristigen Erfolg der Währungsunion ist auch eine gemeinsame Fiskalpolitik nötig. Eine Wirtschafts- und Währungsunion in der lediglich die Geld- und Währungspolitik, nicht aber die Wirtschafts- und Finanzpolitik vergemeinschaftet sind, bleibt notgedrungen labil und kommt im Falle massiver exogener Schock (etwa durch die Finanz- und Bankenkrise 2008/09 oder die Corona-Pandemie) rasch an die Grenzen der Belastbarkeit. Auch eine Rückkehr zu den bisherigen mangelhaften und restriktiven Schulden- und Ausgabenregeln scheint durch den massiven Anstieg der Staatsverschuldung aller Mitgliedsstaaten in Reaktion auf die Corona-Pandemie völlig ausgeschlossen.

Der Wiederaufbaufonds und das gemeinsame europäische Vorgehen ist ein starkes Zeichen dafür, dass wir aus der vergangenen Eurokrise gelernt haben. Anstatt einer erneuten von konservativen propagierten Kürzungspolitik, die schon vor dem Ausbruch dieser Krise dringend benötigten Investitionen verhindert hat, braucht Europa heute mehr denn je Zukunftsinvestitionen in den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft und die digitale Transformation. Das Konjunkturprogramm für Europa bietet eine einzigartige Gelegenheit, eine bessere Wirtschaftspolitik zu etablieren. Dafür werde ich mich als Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss weiter einsetzen.